Mittwoch, 30. September 2015

Dona, dona



Nachdem das Lamm Agatha letzte Woche rund 10 Tage vor ihrem Schlachttermin verendet ist, hat unsere Schaffreude einen neuen Tiefstand erreicht.

Fünf Lämmer wurden im Mai geboren, drei davon haben wir verloren, wovon zwei bereits mit Gendefekt (Schiefhals) geboren wurden. Das hübsche Aueli Andrina und das Böckchen Vaclav gedeihen, oben auf dem Bild beäugen sie neugierig die Klauenpflegematte. Der Bock wird in einer Woche geschlachtet, denn bald würde er geschlechtsreif und damit ein Inzucht-Risiko für seine Mutter, seine Tante und seine Halbschwester.

Seit ihren Flitterwochen beim Bock plagen die Schafe Klauenprobleme. Immer wieder hinken die Tiere, ganze Hornpartien an ihren Klauen lösen sich ab und die Ballen nässen und stinken, verfaulen richtiggehend. Moderhinke ist eine gefürchtete Krankheit, da sie für die Tiere sehr schmerzhaft und kaum auszurotten ist, wenn das Bakterium einmal in eine Herde eingeschleppt wurde. Zudem zeigt die Obduktion von Agatha (ihr Schiefhals macht sie nach ihrem Tod wenigstens noch für die Forschung interessant) Anzeichen, dass sie trotz durchgeführter Wurmbehandlung an starkem Wurmbefall gelitten hat. Beides kann man behandeln. Kotproben können eingeschickt, die Parasiten genau bestimmt und entsprechend bekämpft werden. Moderhinke ist mit regelmässiger Klauenpflege und Klauenbädern vielleicht in den Griff zu bekommen. Wir haben es während eines halben Jahres versucht, nicht geschafft und fragen uns langsam, ob es nicht fairer wäre, die Tiere zu schlachten. Es wäre der einfachste und sicherste Weg, die Moderhinke loszuwerden.

Es ist anstrengend, aber auch schön, die Tiere täglich "standardmässig" zu versorgen. Wasserkessel schleppen, etwas Heu und Kraftfutter verabreichen, ausmisten,... und alles mit zwei kleinen Kindern im Schlepptau, das geht. Auch das regelmässige Umzäunen der Weideflächen mit unseren Elektrozäunen will gut geplant sein, ist aber machbar. Die Klauenpflege hingegen bringt uns an unsere Grenzen (Verbandwechsel z.B. alle zwei Tage). Es reicht nicht, dass der Gefährte und ich (wir machen das immer zu zweit, andere sind da routinierter) tagsüber gemeinsam eine Stunde zuhause sind (nachts fehlt das nötige Licht), wir brauchen auch jedesmal noch jemanden, der während dieser Zeit auf unser Mädchen achtet. So hetzen wir eigentlich immer in den Stall, sind doch meistens gefühlsmässig zu spät und haben schon lange keine Zeit mehr für die schönen Momente, welche ein Leben mit Tieren mit sich bringt. Es ist extrem frustrierend, ein erneut hinkendes Schaf bemerken und erst die Agenda zücken zu müssen um festzustellen, dass man das Tier frühestens in vier Tagen genauer untersuchen kann.

Wie weiter? Andrina können wir nicht als viertes Schaf behalten, vor allem nicht in der jetzigen Situation. Verkaufen oder schlachten? Ein Verkauf aus einer Moderhinke-Herde ist unrealistisch, auch wäre das Fleisch wenigstens ein kleines bisschen Lohn für die ganze zermürbende Arbeit der letzten Monate. Meine liebe Andrina, du Hündchen-Schaf, du Knuddel-Gurke... Ich tue mich schwer mit dieser Option.

Den Gedanken zuzulassen, dass wir auch die drei Grazien schlachten und damit ganz viele Probleme auf einen Schlag lösen könnten, beschert mir Unbehagen. Ich schuf mir nie leichtfertig Tiere an, auch nicht diese Schafe. Dass sie sterben müssten, weil wir eine zufriedenstellende Haltung bei allen Bemühungen nicht auf die Reihe kriegen, will mir nicht in den Kopf. Aber kaufen will die niemand, soviel ist sicher. Und wenn wir die Moderhinke tatsächlich niederringen könnten, so blieben zwei der drei Tiere Trägerinnen des Schiefhals-Defekts. Keine gute Basis für unsere kleine Zuchtgruppe.

Was ist schlimmer für ein Schaf: Krank zu leben oder früher als geplant (irgendwann wäre das ja sowieso ein Thema geworden) geschlachtet zu werden?

Die ganzen Erfahrungen mit den Lämmern haben uns etwas gelehrt: Es nützt nichts, den Tatsachen nicht ins Auge blicken zu wollen. Unsere Bemühungen bei den Lämmern waren für die Katz'. Zu hundert Prozent. Soll dies jetzt für alle weiteren Fragen im Bereich "Leben mit Schafen" gelten?

Ich muss jetzt alle Fakten, Überlegungen und Gefühle mal ein bisschen wiederkäuen. Hilft immer.

Und hier gibts noch ein paar passende Töne dazu. Schön und traurig. (Ja, natürlich: Kalb. Ist aber egal.)

Samstag, 26. September 2015

Herzensarbeit




Die Herstellung einer Puppe ist dermassen antiquiert, schrullig und weltfremd, dass sie bereits als Form des Widerstandes gegen das Tempo und die Werte unserer Spass- und Konsumgesellschaft gesehen werden kann. Dieses kleine bisschen heile Welt aus Schafwolle, Trikot, Mohairgehäkel und Miniaturgenähe macht mich selbst glücklich, kann ich dabei doch wunderbar vor mich hinwursteln, nicht weniger aber auch äusserst skeptisch. Sind dies reaktionäre Handlungen? Ist das eine Flucht vor den Herausforderungen dieser Tage? Augen verschliessen und nur mein Gärtchen pflegen?


Das geschieht zur Genüge. Seichte Pseudo-Achtsamkeit mit "Flow" und "Kinfolk", DIY nach stupider Anleitung, meist noch verbunden mit der Anschaffung von exklusivem Rohmaterial, Hauptsache selbstgemacht, egal wie schlecht..., Shabby Chic ohne echte Spuren von Zeit und damit ohne Ehrlichkeit, oder kunstvolle Brotdoseninhalte von Supermoms, für welche eine Mama wie ich, die bis anhin eine Brotscheibe und nen Apfelschnitz als Znüni für angemessen hielt, mindestens einen mehrwöchigen Abendkurs belegen müsste sind nur einige wenige und willkürlich zusammengetragene Felder der "neu erstarkten Biederkeit". Seid mir nicht bös', fühlt euch nicht angegriffen, ich selbst bin nicht frei von diesen "Verlockungen". Nicht zuletzt pflegt ja auch mein Blog offensichtlich eine Ästhetik und Grundstimmung, welche immer wieder gefährlich nahe an diesen Abgrund herantänzelt.




Zum Glück, zum grossen Glück ist diese Puppe aber ganz anders entstanden. Oft hatte ich beim Werkeln meine Ohren dank Radio draussen in der Welt, und meine Gedanken und mein Herz konnten reisen, lernen und Anteil nehmen. Wenn Ohnmachtsgefühle und Wut überhand nahmen, legte ich die Arbeit beiseite, wollte ich sie doch nicht mit meinen düsteren Gedanken aufladen. Entsprechend langsam ist die Puppe entstanden. Je länger je mehr ist in mir aber auch die Zuversicht gewachsen, wie ich auf die aktuellen Geschehnisse reagieren kann, reagieren möchte.

Immer wieder und sehr gerne dachte ich mich während der Arbeit zu einem kleinen Mädchen, welches ich gar nicht persönlich kenne, malte mir aus, wie es auch dank der Puppe hineinwachsen würde in seine Welt. Indem es mit ihr Mitgefühl übte, Freundschaft probte, Verbundenheit spürte, Einsamkeit bezwänge. Ich freue mich sehr darüber, dass ich diese Puppe ziehen lassen konnte. Dass ich sie nicht in meiner eigenen kleinen Welt behalten und besitzen muss, sondern dass sie anderswo bewirken kann, was in ihrer Macht steht. Ganz ganz wenig für die Massstäbe der Welt. Aber vielleicht sehr viel für dieses eine kleine Mädchen.




Und sonst so:

Noch immer bin ich blutige Anfängerin, was die Puppenmacherei betrifft. Es finden sich einige kleinere und grössere Fehler, welche ich jetzt aber einfach akzeptiere. Dies ist meine zweite selbstgemachte Puppe, und die kleinen Makel dürfen sein.

Sicherlich werde ich beim nächsten Mal robusteren Stoff für den Körper verwenden, so werden die störrischen Schafwollhaare der Füllung auch weniger als eigenwillige "Brusthaare" da und dort hervorlugen. Mit dem Formen und der Stabilität des Halses tat ich mich schwer, ein kleiner, sehr provisorischer Loop (der eigentlich ein Haarband hätte werden sollen, dann aber zu klein war), kaschiert die Stelle. Es ist nicht ganz einfach, die richtige Füllmenge und damit die Härte resp. Weichheit der Puppe zu definieren. Nachdem meine erste Puppe ein hartes Klötzchen wurde, ist diese Puppe jetzt bewusst sehr weich geblieben. Ob und wie sie damit längerfristig zurechtkommt, wird sich zeigen. Auch die Lippen hab ich ein bisschen vermurkst, aber da vertraue ich auf den neutralisierenden Zeitfaktor.

Da die Puppe in ein Heim gezogen ist, wo wunderbarst gestrickt und genäht wird, bereitete mir die Puppenkleidung das meiste Kopfzerbrechen. Am liebsten hätte ich die Puppe nur in ein Stöffchen gehüllt übergeben, aber dann führte eines zum anderen. Ein kleines Hemdchen für die Reise rief nach einem Röckchen, dieses wiederum nach Unterwäsche. Schuhe wurden plötzlich dringend nötig und die Weste musste als baumwollenes Augenzwinkern einfach sein, schliesslich bin ich via Bora auf die "Pebbles" gestossen und habe davon auch schon mehrere für meine Kinder gestrickt. Für die gesamte Garderobe habe ich ausschliesslich Restematerial verwendet. Und natürlich freut es mich, wenn die Puppengarnitur ergänzt/ersetzt wird mit kleinen Kostbarkeiten aus dem Hause Kirschkernzeit. Damit die Puppe ganz verwoben wird mit ihrem Wirkungsfeld.

Auch habe ich die Haare bewusst nicht kompliziert frisiert und eher eine Spur zu lang gelassen. Gerne darf da noch ein bisschen optimiert werden, wenn sich herauskristallisiert, welche Frisur gut zur Puppe und den täglichen Anforderungen passt. Und da ja auch Kinder manchmal Scheren in die Hände kriegen und bei Puppen (und sich selbst) verwegene Frisuren produzieren, legte ich den Restknäuel des Mohairgarns zum Paket. Vielleicht ist man da mal noch froh darüber...

Und jetzt, jetzt spüre ich dieses Entzugs-Kribbeln, diese Unruhe, die mich gerne erfasst, wann immer ein grösseres Projekt beendet ist. Was darf es denn als nächstes sein?






Sonntag, 20. September 2015

Glühen


Immer wieder bin ich fasziniert, wenn ich eingeführt werde in Bereiche, von welchen ich bis anhin keine Ahnung hatte. Ich bin ein extrem neugieriger Mensch, und wenn mir jemand mit Herzblut, Liebe zum Detail, viel Wissen und einer Prise Präsentationsgeschick sein Métier, eine Kunstausstellung, ein Hobby oder sonst irgendetwas nahebringen will, lasse ich mich sehr gerne begeistern. Ich hänge einer belesenen Historikerin genauso gespannt an den Lippen wie einem passionierten Wachtelzüchter. Mein Staunen pflege ich, es ist mir lieb und unendlich wichtig.


Und so verwundert es nicht, dass mich dieser Abend sehr inspiriert hat: Ein Getränkehändler und ein Diplom-Bier-Sommelier führten in unserem Stall eine Bierdegustation durch. Im kleinen Rahmen hatten wir die Gelegenheit, achtzehn äusserst unterschiedliche und überraschende Biere zu acht auserwählten Käsespezialitäten und etwas Schokolade zu degustieren.



Es war ein phantastisches Erlebnis, einmal mehr hat sich mir eine neue Welt aufgetan. Nase, Zunge, Gaumen und Kehle wurden herausgefordert und überrascht, viel Wissenswertes und Unterhaltsames hat mich zum Staunen, Schmunzeln und Weiterdenken gebracht. Der Abend war lang und schön.



Und wer jetzt denkt, dass es doch verwerflich sei, gut zu essen und zu trinken, wenn anderen das Nötigste fehlt: Ja. Und nein. Die Sinne zu schärfen, auch im übertragenen Sinn natürlich, ist und bleibt wichtig. Und echte, direkte Begegnung mit Neuem, mit anderem Denken, mit fremden Menschen (die am Schluss als Freunde gehen) ist nie verwerflich. Das ist Friedensarbeit.










Freitag, 4. September 2015

Klammern und Ausrufezeichen


Wir verändern uns alle. Ständig. Aber selten fällt das so auf wie bei kleinen Kindern. Gerade eben wachsen die beiden hier so rasant, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt.

Der Frischling hat sein erstes gegenständliches Bild gezeichnet. Eine Lokomotive (was sonst!). Diese hat er ganz allein in aller Stille aufs Blatt gehauen, nachdem ihm tags zuvor eine Mutmach-Zeichnung mit Rittern und Drache von einem Spielgruppen-Gspänli geschenkt wurde. "Wenn M. zeichnen kann, kann ich das auch.", hat er mir beim Überreichen erklärt. (Gerade mal drei Jahre alt geworden, besucht der Frischling seit vier Wochen während eines Nachmittages pro Woche die Waldspielgruppe. Freiwillig ist das und für ihn eine gute Gelegenheit, andere Kinder kennenzulernen. Aber bereits nächstes Jahr gilt es ernst mit obligatorischem Kindergarten, fünf Tage die Woche, eine Kindergärtnerin auf ca. 25 Kinder. Zugestandene Eingewöhnungszeit: ein Tag. Wer hat sich das bloss ausgedacht?)

"Ich bin Schuperman!" Ja, manchmal gelingt dem Frischling neuerdings das "sch".

Die Zaunkönigin summt die Melodie von "Heile, Heile, Säge" (Segen natürlich!), kriegt Haare (endlich!), steigt in ihre Hosen und organisiert den Haushalt neu (Was ich überall finde, wenn ich es nicht suche! Und umgekehrt!). Nur das Sprechen spart sie sich noch fast gänzlich auf. Sie lebt hervorragend ohne Worte, kriegt immer was sie will und kommandiert alle in der Gegend herum. Mit Vorliebe den Papa (Mapam!) und mich (Mapam!).
Ich freue mich über jeden Kommentar.
Weil dann Statistik-Zahlen zu Menschen werden.
Dank dir.