Freitag, 27. November 2015

Teebeutelweisheit


Der kinderfreie Nachmittag ist kein freier Nachmittag. Einkauf, Holzlieferung, anschliessendes Versorgen der Tiere und dann bereits wieder Abholen der Trabanten stehen auf dem Programm.

Der Traktor fährt pünktlich vor, jedes Holzstück wird vom Anhänger durch die Scheune getragen und durch die Bodenluke hinters Haus geworfen, wo der Eingang zum Heizungskeller liegt. Dort wird jedes Stück auf eine alte, hölzerne Schubkarre gestapelt und in den Heizungsraum gekarrt, noch einmal ausgekippt und zu hohen Beigen aufgeschichtet. Wie ich also so im Heizungsraum stehe und staple, was mein Vater und mein Schwager da ankarren, spüre ich, wie ich angespannt bin. Immer ist meine Zeit so verplant, es bleibt mir wieder einmal kein Moment, mich aufs Sofa zurückzuziehen, ein bisschen durchs Netz zu surfen oder gemütlich mit einer Freundin zu telefonieren. Ganz zu schweigen von all dem, was auch noch zu tun wäre und wieder mal auf der Strecke bleibt: Schulzeug sortieren, Haushalt erledigen, Pendenzenlisten abarbeiten. Habe ich denn kein Recht auf ein bisschen Freizeit?

Und dann werde ich beschenkt. Ich vergesse, was ich wollte, sollte, könnte, müsste. Ich staple Holz.
Jedes einzigartige Scheit dieser vier Ster(!) wandert durch meine Hände. Ich staple Holz.
Hinter mir knistert das angefachte Feuer im Feuerraum. Ich staple Holz.
Die Wärme strahlt durch die offene Luke. Ich staple Holz.
Der Geruch vom Rauch durchzieht den Raum. Ich staple Holz.
Meine Muskeln erwärmen sich vom vielen Bücken. Ich staple Holz.
Ich spüre da und dort ein angenehmes Ziehen. Ich staple Holz.

Nachdem die Arbeit erledigt ist, geniessen wir heissen Tee und Schokoladenkuchen (gekauften natürlich, sonst würde es ja noch kitschig ob so viel Landlust-Romantik).

Danach schaue ich bei den Tieren vorbei, es reicht sogar noch für eine kleine Streichelei durch warmwolliges Fell.

Und bald darauf wackeln wir zu dritt durch die Nacht dem Daheim entgegen, welches uns freundlich entgegenleuchtet, die Zaunkönigin weich und warm an meinen Körper geschmiegt, der Frischling mit seiner Glöckchenmütze und dem Laternchen wie ein kleiner Zwerg neben mir hertrabend.

Frei sein, frei haben, Freizeit haben. Oft eine Kopfsache.
Während ich diese Zeilen schreibe, brühe ich mir einen Tee auf. Einen Beuteltee jener Sorte, wo die Haltepapierchen kleine Lebensweisheiten verkünden. Diesmal:
"Wenn wir ganz bei uns selbst sind, sind wir Liebe."



Freitag, 20. November 2015

Abschied und Willkommen


Die letzten Herbsttage überraschten noch einmal mit Süsse.

Jetzt bläst der Wind ums Haus, Regen prasselt an die Fenster.
Wir zünden Lichter und Feuer an.
Und sind bereit für den Winter.




Da ich gerade sehr viel lesen, denken, arbeiten, geniessen, zeichnen, spielen, nähen und diskutieren möchte, räume ich meinen Streifzügen durchs Netz weniger Zeit ein. Mehr machen, weniger gucken. Das beglückt mich im Moment sehr. Und bleibt wohl noch ein Weilchen so. Habt es fein.

Mittwoch, 4. November 2015

Hauptsache gesund? {Stolperstein}


„Es ist gesund!“ flüstert sie, nachdem sie die sehnlichst erwartete Mail ihrer Ärztin gelesen hat. Die Anspannung der letzten Tage löst sich, einige Freudentränen kullern. Ich freue mich mit. Wie schön, dass sie jetzt guter Hoffnung sein darf.

Aber die Worte, die sie gewählt hat, klingen noch lange nach bei mir. Das Kind hat weder Trisomie 13, 18 noch 21, soviel ist jetzt sicher. Es wurde aber nicht untersucht, ob es mit einer anderen genetisch bedingten Krankheit oder Besonderheit leben wird. Noch weniger sicher ist, ob dieser (vermutlich) gesunde Embryo dereinst auch ein gesundes Baby sein wird. Es liegen noch einige Monate Schwangerschaft vor Mutter und Kind, sensible Entwicklungsschritte stehen bevor. Auch während der Geburt können dem Kind irrepareable Schäden zugefügt werden. Und dann fängt das Leben mit all seinen Gefahren erst an. Unfälle und Erkrankungen können das Kind und seine individuellen Bedürfnisse stark verändern. Es ist nicht eine Besonderheit, wenn einem Kind früher oder später etwas Derartiges widerfährt, vielmehr ist es aussergewöhnlich, wenn es ohne „Schreckmomente“ durch die Kindheit kommt. Zum Glück laufen die meisten Unfälle und Erkrankungen (hier bei uns wenigstens mit unseren medizinischen Standards) glimpflich ab. Das Kind wird sowenig gesund bleiben, wie wir selbst es sind. Wir alle haben körperliche Schwachstellen, die einen sind nur schwach ausgeprägt und problemlos in den Alltag integrierbar, andere von grösserem Ausmass, welche mehr Aufmerksamkeit, vielleicht sogar Einschränkung bedeuten.

Das „gesunde Kind“, ja der „gesunde Mensch“ ist ein unerreichbares Ideal. Und immer wieder irritert es mich, wie die verschiedenen Formen und Ausprägungen von Normabweichungen gewichtet werden. Vielen Eltern erscheint es undenkbar, ein Kind mit einer geistigen Beeinträchtigung zu begleiten. Ob sie die Kraft für die Betreuung eines Diabetiker-Kindes, eines blinden Kindes oder eines mit schwerer Neurodermitis haben, stellen sie sich nicht (weil sie gar nicht danach "gefragt" werden).

Immer wieder beobachte ich, dass werdende Eltern Sicherheit wollen, wo es keine Sicherheit gibt. Sätze wie „Ein behindertes Kind kommt für uns nicht in Frage“ oder „Wir haben ein Recht zu entscheiden, ob wir ein behindertes Kind wollen“ irritieren mich sehr. Dieses Denken kann man sich während der Schwangerschaft noch leisten. Danach greift diese Einstellung nicht mehr. Schliesslich gibt es keinen mitgelieferten Garantieschein, mit welchem man das „erworbene Produkt“, sollte es „Mängel“ aufweisen, retournieren oder austauschen könnte.

Ich weiss nicht, welches (Vor-)Wissen sinnvoll ist und welches nicht. Es gibt gute Gründe, genauer überprüfen zu wollen oder zu müssen, wer da vielleicht unterwegs ist zu einem, so wie es auch gute Gründe gibt, genau das nicht wissen zu wollen. Nur etwas ist meiner Meinung nach tatsächlich falsch: das Überprüfen ganz weniger Besonderheiten mit dem Aufdecken aller überraschenden Möglichkeiten zu verwechseln.

Kinder sind immer ganz anders, als wir es uns in unseren kühnsten Träumen ausgemalt hatten. Manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger.

°

Ein Post über so ein komplexes Thema kann nie allen Eventualitäten und Einwänden gerecht werden. Das Thema liegt mir aber aus verschiedenen Gründen sehr am Herzen, deshalb wage ich die Veröffentlichung dieser Gedanken.

Folgende Blogs lese ich sehr gerne. Sie überraschen mich immer wieder mit Posts, welche mich sehr berühren und meine eigenen eingefahrenen Gedanken in Schwung bringen:

kaiserinnenreich (zum Einstieg z.B. hier oder hier)


Das Rotkehlchen hat auch etwas verwechselt. Nämlich sein eigenes Spiegelbild mit einem Konkurrenten. Während zwei Tagen flog es seine Angriffe auf die Scheibe unseres Wohnzimmerfensters. Die Spuren zeigen (das Bild ist nur ein kleiner Ausschnitt des ganzen Fensters) das Ausmass seiner Fehleinschätzung: hunderte kleine Abdrücke seines wohl leicht fettigen Schnabels oder seiner Krallen.










Ich freue mich über jeden Kommentar.
Weil dann Statistik-Zahlen zu Menschen werden.
Dank dir.